Vier Forderungen der Europagruppe Grüne an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2020
Die COVID-19-Pandemie hat die deutsche Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 unter völlig neue Vorzeichen gestellt. Nachdem einige Mitgliedstaaten auf den Ausbruch der Corona-Krise zunächst reflexhaft mit einem Rückzug ins Nationale reagiert hatten, sind die Fliehkräfte innerhalb der Europäischen Union größer geworden.
Die deutsche Bundesregierung hat nun die große Verantwortung, den Zusammenhalt in Europa wieder zu stärken und ein weiteres wirtschaftlich-soziales Auseinanderklaffen zu verhindern.
Gleichzeitig stehen wir vor der historischen Aufgabe, die Europäische Union bis spätestens 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen.
Wir fordern die deutsche Ratspräsidentschaft auf, den Mehrjährigen Finanzrahmen und das Wiederaufbauprogramm mit ambitioniertem Klimaschutz zu verbinden und auf grüne Industriepolitik zu setzen.
So können wir eine starke Antwort auf die gleichzeitige Herausforderung der Wirtschafts- und der Klimakrise geben. Jetzt geht es darum, in die Zukunft zu investieren und auf den Jobmotor Erneuerbare Energien zu setzen.Deshalb muss der Klimaschutz eindeutige Priorität der deutschen Ratspräsidentschaft sein, mit dem Europäischen Green Deal im Zentrum.
Derweil hat die COVID-19-Pandemie auch im Inneren der Union und global bestehende Spannungen verschärft. Autoritäre Regierungen in der EU haben im Schatten der Corona-Krise Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit weiter ausgehöhlt und die Spielräume für Zivilgesellschaften und Medien zusätzlich eingeschränkt. Wenn die EU hier nicht aktiv gegensteuert, verliert sie massiv an Glaubwürdigkeit. Gleiches gilt für den menschenverachtenden und rechtsverletzenden Umgang mit Schutzsuchenden an den Außengrenzen. Das gesamte europäische Haus nimmt Schaden, wenn seine Fundamente ins Wanken geraten.
Die EU braucht effektive und verbindliche Instrumente und Regeln, um Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit zu schützen. Dafür sollte sich die deutsche Ratspräsidentschaft in den anstehenden Verhandlungen zum Haushalt und zum Wiederaufbau einsetzen.
Unter deutscher Ratspräsidentschaft müssen wir die EU auch international handlungsfähiger und kohärenter machen, um eine wertebasierte und gemeinsame europäische Außenpolitik zu formulieren und umzusetzen.
Um Menschenrechte weltweit zu fördern, die Globalisierung und den Welthandel nicht nur zum eigenen Wohl zu gestalten sowie multilaterale Kooperation zu stärken, muss die EU ihr vollständiges internationales Gewicht mobilisieren – weit über das bisherige Maß hinaus.
Die Europapolitik der deutschen Bundesregierung verfolgte in den vergangenen Jahren zu häufig eine Politik der Blockade und des Verhinderns. Nun braucht die EU das Gegenteil: eine deutsche Regierung, die gemeinsam mit ihren europäischen Partnerinnen und Partnern vorangeht und die großen Herausforderungen europäisch bewältigt. Wir Grüne richten deshalb die folgenden Forderungen für das zweite Halbjahr 2020 an die deutsche Ratspräsidentschaft.
1. Mit dem Mehrjährigen Finanzrahmen und dem Wiederaufbauprogramm ein klimaneutrales Europa schaffen und in Zukunftsaufgaben investieren
Wir sollten die großen Investitionsprogramme, die nun ohnehin auf den Weg gebracht werden müssen, zur Weiterentwicklung der Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung Klimaneutralität nutzen. Mit einer ökologischen Transformation können wir für die Bürger*innen eine doppelte Dividende sichern sowie Impulse für Wohlstand und Ökologie gleichermaßen erzeugen. So gehen wir aus der Krise in die Zukunft. Der Europäische Green Deal muss dabei im Zentrum stehen – nicht trotz der Krise, sondern umso mehr. Aus Strategien müssen unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft konkrete Ergebnisse werden.
Das 2030-Klimaziel der EU mit dem Pariser Klimaabkommen in Einklang bringen:
Um eine positive Dynamik für den Klimaschutz zu entwickeln, muss die EU ambitioniert global voran-schreiten und die Verhandlungen zum europäischen Klimagesetz bis Ende 2020 abschließen. Im Einklang mit dem Pariser Klimaschutzabkommen und dem aktuellen Stand der Wissenschaft fordern wir eine Anhebung des EU-Klimaziels für 2030 auf eine Emissionsminderung von 65 Prozent. Auch die Wirtschaft braucht diese zentrale Koordinate zeitnah, um sich zu orientieren und eigene Investitionen zu tätigen.
Mit verbindlichen Vorgaben für das Wiederaufbauprogramm in die Zukunft investieren:
Wir kritisieren mit Nachdruck, dass das Wiederaufbauprogramm der EU („Recovery Fund“) in keiner Weise auf das Pariser Klimaabkommen Bezug nimmt. Daher fordern wir die deutsche Bundesregierung auf, sich in den Verhandlungen zum Wiederaufbauprogramm für verbindliche Vorgaben einzusetzen, die eine klima- und geschlechtergerechte Verwendung der Mittel garantieren. Alle großen Unternehmen – wie Fluggesellschaften, aber auch Banken, Versicherungen oder Finanzdienstleister –, die mit staatlichen Beihilfen unterstützt werden, sollen öffentlich darlegen müssen, wie sie ihre wirtschaftlichen Aktivitäten auf die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad abstimmen wollen. Eine direkte oder indirekte Unterstützung von nuklearen und fossilen Industrien mit staatlichen Beihilfen muss die deutsche Ratspräsidentschaft verhindern. Zudem sollen Konzerne offenlegen müssen, in welchem Land sie welchen Gewinn erwirtschaften und wie viele Steuern sie dabei zahlen. Eine aggressive Steuervermeidungspolitik steht mit dem Bezug von öffentlichen Geldern in direktem Widerspruch. Ebenso müssen für Unternehmen, die aus Steuermitteln finanzierte Wirtschaftshilfen erhalten, die Auszahlung von Dividenden und Boni sowie der Rückkauf eigener Aktien ausgeschlossen sein.
Mehrjähriger Finanzrahmen als Weichenstellung für ein klimaneutrales Europa:
Nach dem bedeutenden Vorschlag von Bundeskanzlerin Merkel und Staatspräsident Macron erwarten wir von der deutschen Bundesregierung, dass sie bei der Ausgestaltung des Wiederaufbauprogramms und des Mehrjährigen Finanzrahmens drei Leitlinien verfolgt: Klimagerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit, Generationen-gerechtigkeit. Der EU-Haushalt, der unter deutscher Ratspräsidentschaft für die Jahre 2021-2027 beschlossen wird, muss die Zusagen des Pariser Klimaabkommens und die europäischen Klimaziele ins Zentrum rücken. Das heißt: deutlich mehr Investitionen in den Klimaschutz sowie Eigenmittel der EU, die eine ökologische Lenkungswirkung erzielen. Hierfür sollte sich die deutsche Ratspräsidentschaft in den Verhandlungen einsetzen. Für die Dekarbonisierung des Verkehrssektors braucht es beispielsweise eine drastische Verlagerung auf die Schiene und den Ausbau eines europaweiten Nachtzugnetzes.
Die EU-Kommission schlägt lediglich vor, dass 25 Prozent der Investitionen des Mehrjährigen Finanzrahmens klimagerecht ausgegeben werden. Das wird der Größe der Herausforderung nicht gerecht, Europa bis spätestens 2050 klimaneutral zu machen. Das Europäische Parlament fordert deshalb Zusagen über mindestens 30 Prozent und zusätzlich 10 Prozent Investitionen in Biodiversität. Wir stehen für die Forderung ein, 50 Prozent des EU-Haushalts klimagerecht auszugeben.
Mit grüner Industriepolitik das Klima schützen und Jobs schaffen:
Wir wollen die industrielle Revolution der Dekarbonisierung und den Umbau der Wirtschaft zu einer ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft vorantreiben. Mit einer Wirtschaft, die einerseits Klima und Umwelt schützt, andererseits Millionen neuer Jobs schafft, können wir die Wirtschafts- und Klimakrise gleichermaßen bewältigen. Die EU muss dabei eine Führungsrolle übernehmen – und die Bundesregierung hat in der zweiten Jahreshälfte die Aufgabe, hierfür die zentralen Weichen zu stellen. Wir wollen, dass die EU bei den Erneuerbaren Energien vorangeht: Durch ein 70-Millionen-Dächer-Programm für Solaranlagen in den nächsten zehn Jahren und eine Renovierungswelle verbinden wir die notwendige Sanierung der rund 215 Millionen Gebäude in der EU bis 2050 mit einem Schub für die Photovoltaik und der Schaffung von bis zu zwei Millionen Arbeitsplätzen. Finanzmittel sollen gezielt so eingesetzt werden, dass auch energie- und ressourcenintensive Sektoren auf saubere Technologien umschwenken können. Zudem braucht es die klare Förderung von Forschung und Entwicklung sowie von erneuerbaren Energien als eigenem strategischem Sektor und Jobmotor. Das Budget für die Programme im EU-Haushalt zur Unterstützung des ökologisch-sozialen Wandels großer und kleiner Unternehmen sollte erhöht werden. Kleine und mittlere Unternehmen müssen schnell und unbürokratisch dabei unterstützt werden, auf umweltfreundliche Geschäftsmodelle zu setzen.
Für eine Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik, die unsere Lebensgrundlagen schützt:
Die deutsche Bundesregierung muss Biodiversität und den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen zur Priorität erklären. In der Landwirtschaft müssen ökologische Bewirtschaftungsmethoden ohne chemische Pestizide und Düngemittel ebenso in den Mittelpunkt gerückt werden wie die Schaffung von Lebensräumen für Wildpflanzen und Tiere. Wichtigster Hebel im zweiten Halbjahr sind hierfür die Verhandlungen zur Gemeinsamen Agrarpolitik. Wir fordern einen Mitteltransfer von bis zu 15 Prozent aus den Direktzahlungen (1. Säule) zugunsten der ländlichen Entwicklung (2. Säule). Mindestens 50 Prozent der Zahlungen der 2. Säule sollten für Ökolandbau, Umwelt- und Tierschutz sowie Klimamaßnahmen bereitgestellt werden – wobei der Ökolandbau dringend in der 2. Säule verbleiben sollte. Außerdem fordern wir starke verpflichtende Vorgaben für Umweltmaßnahmen in der 1. Säule.
2. Mit einer solidarischen Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie einer starken europäischen Sozialpolitik den Zusammenhalt der EU festigen
Viele Mitgliedstaaten, auch Deutschland, haben auf den Ausbruch der COVID-19-Pandemie zuerst mit einem Rückzug ins Nationale reagiert. Das hat dem Zusammenhalt in der EU schweren Schaden zugefügt. Der gemeinsame Vorschlag von Frankreich und Deutschland sowie der jüngste Vorstoß der Europäischen Kommission für einen solidarischen „Recovery Fund“ stoßen nun die Tür für einen gemeinsamen europäischen Weg aus der Krise auf. Bei aller Kritik im Detail halten wir das Positive fest: Erstmalig setzt sich die deutsche Bundesregierung für gemeinsame Anleihen in Europa ein und stellt sich damit ganz konkret einem weiteren sozialen und wirtschaftlichen Auseinanderbrechen zwischen den Mitgliedstaaten entgegen. Das darf aber nur ein erster Schritt sein: Künftige Krisen überleben wir als Union nur mit einem handlungsfähigen Budget, einer Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion – sowie der Fortentwicklung der Europäischen Union zu einem sozialen Versprechen für alle Bürgerinnen und Bürger. Die deutsche Ratspräsidentschaft muss Grundsteine für eine Europäisierung in diesen Bereichen legen.
Für einen starken europäischen Haushalt, der die EU handlungsfähiger macht:
Wir unterstützen, dass der „Recovery Fund“ im EU-Haushalt angesiedelt werden soll und damit den regulären parlamentarischen Verfahren und Kontrollen unterliegt. Das darf aber nicht zu einer Schwächung des eigentlichen EU-Haushalts führen. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich im Rahmen der Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen für eine strukturelle Stärkung des europäischen Haushalts einzusetzen, auch durch Eigenmittel der EU. Neben den großen Themen und Programmen dürfen wichtige gemeinsame europäische Programme nicht außer Acht gelassen werden. Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, sich für eine Verdreifachung des Erasmus-Programms und mindestens eine Verdopplung des Programms „Rechte und Werte“ einzusetzen.
Für ein Europa, in dem niemand zurückgelassen wird:
Die Folgen der Corona-Krise haben gerade diejenigen am stärksten getroffen, die ohnehin schon kämpfen mussten: Geringverdiener, Migrant*innen, Leiharbeiterinnen *innen. Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit ist eines der Gründungsprinzipien der EU. Wir brauchen endlich eine Gender-Pay-Gap-Richtlinie, die dieses Prinzip EU-weit durchsetzt. Gemeinsame soziale Rahmenbedingungen und Mindeststandards sind in der EU längst überfällig. Wir fordern die deutsche Bundesregierung deshalb auf, die Initiative für gerechte Mindestlöhne in der EU mit aller Kraft voranzutreiben.
3. Die EU als Union der Grundrechte, der Demokratie und des Rechts stärken: mit verbindlichen Vorgaben für Rechtsstaatlichkeit sowie aktiver Bürgerbeteiligung
Die kommenden Monate werden für unser Selbstverständnis als Union der Grundrechte, der Demokratie und des Rechts überlebenswichtig sein. Die COVID-Krise hat offenbart, wie schnell demokratische Systeme in einer Reihe von Ländern kippen können. Die wirtschaftlichen Belastungen der nächsten Monate werden unsere Demokratien noch mehr auf die Probe stellen. Während der deutschen Ratspräsidentschaft wird es darauf ankommen, die Unabhängigkeit der Justiz, die Freiheit von Medien und Zivilgesellschaft sowie die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger in den EU-Mitgliedsstaaten aktiv zu verteidigen.
Für eine EU der Rechtsstaatlichkeit:
Die EU braucht wirkungsvollere Hebel, um gegen Verletzungen von Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten in den Mitgliedstaaten vorzugehen. Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, verbindliche Vorgaben für Rechtsstaatlichkeit im Mehrjährigen Finanzrahmen zu verankern, die es der EU-Kommission erlauben, die Auszahlung von EU-Fördergeldern effektiv an die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards zu knüpfen. Auch staatliche Beihilfen aus dem Wiederaufbauprogramm wollen wir an Transparenz- und Antikorruptionsvorgaben geknüpft sehen. Wir fordern die deutsche Bundesregierung auf, die Artikel-7-Verfahren gegen Ungarn und Polen unter Beteiligung des Europäischen Parlaments voranzutreiben und Vertragsverletzungsverfahren der Kommission aufgrund von Demokratie- und Rechtstaatsdefiziten zu unterstützen. Die deutsche Ratspräsidentschaft muss sicherstellen, dass auch zivilgesellschaftliche Organisationen unmittelbar aus dem „Recovery Fund“ profitieren können – und dass Justiz- und Demokratieprogramme im neuen EU-Haushalt nicht zurückgefahren werden.
Rechtsstaatlichkeit an den EU-Außengrenzen herstellen:
Wir erwarten von der deutschen Bundesregierung, dass sie im Rahmen der Ratspräsidentschaft darauf hinarbeitet, an den EU-Außengrenzen wieder Rechtsstaatlichkeit, geordnete Verfahren und die Wahrung von Menschenrechten herzustellen. Schutzsuchende müssen Zugang zu rechtsstaatlichen Asylverfahren erhalten. Sie dürfen nicht an der Grenze zurückgewiesen oder auf See abgefangen und festgehalten werden. Gewalt gegen Schutzsuchende, Pushbacks oder gar das Aussetzen des Asylrechts sind nicht mit europäischem Recht vereinbar.
Für eine Konferenz, die Europa effektiver und demokratischer macht:
Wir brauchen – nach Corona mehr denn je – eine Debatte über die Zukunft der EU. Wir müssen verstehen, warum im ersten Reflex auf die Krise vor allem nationale statt europäische Antworten Konjunktur hatten. Und wir müssen es schaffen, gelebte europäische Solidarität und den Wunsch der Bürgerinnen und Bürger nach mehr Europa in der Krise nachhaltig in politische Prozesse zu übersetzen. Die Konferenz zur Zukunft der EU ist für diese Debatte das ideale Forum. Die deutsche Präsidentschaft muss die Konferenz nutzen, um längerfristige Antworten auf die Corona-Krise zu geben und grundlegende Reformen der EU einzuleiten. Wir fordern die Bundesregierung auf, die Konferenz im September auf den Weg zu bringen und die Bürger*innenversammlungen engagiert vorzubereiten.
4. Durch mehr Handlungsfähigkeit und Kohärenz eine gemeinsame wertebasierte europäische Außenpolitik gestalten
Ohnehin bestehende Spannungen in der internationalen Architektur wurden durch die COVID-Krise weiter verschärft, der Multilateralismus weiter geschwächt. Es wird in den kommenden Monaten zu großen geopolitischen Verschiebungen als Folge dieser Prozesse kommen. Entscheidend wird sein, wie sich die EU unter deutscher Ratspräsidentschaft in diesem neuen Kontext als handlungsfähige Akteurin beweist, die ihr internationales Gewicht mobilisieren kann.
Für eine EU, die Menschenrechte und deren Verteidiger*innen weltweit stärkt:
Der Schutz und die Förderung von Menschenrechten weltweit sollte noch stärker als bisher für das außenpolitische Handeln der EU maßgeblich sein. Daher fordern wir die deutsche Ratspräsidentschaft auf, den Beschluss eines internationalen Sanktionsregimes für Menschenrechtsverstöße voranzutreiben. Im Rat sollte die Bundesregierung auf qualifizierte Mehrheitsentscheide bei Menschenrechtsthemen hinarbeiten. Auch das für 2021 von der EU-Kommission angekündigte Lieferkettengesetz, das europäische Unternehmen entlang der gesamten Lieferkette auf die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards verpflichtet, muss angeschoben werden. Um Menschenrechtsverteidiger*innen, die weltweit immer stärker unter Druck geraten, besser zu schützen, fordern wir für sie Visaerleichterungen.
Die Weiterentwicklung der EU-China-Politik zu einem Hauptthema machen:
Trotz der Absage des China-Gipfeltreffens in Leipzig führt an der Weiterentwicklung der EU-China-Politik kein Weg vorbei. Vor allem muss die Bundesregierung ihre China-Politik zu einer wirklich europäischen machen. Die EU muss die Kooperationsfelder im Lichte der systemischen Rivalität mit China neu vermessen und auf Einhaltung chinesischer Zusagen drängen. Die deutsche Präsidentschaft sollte thematisieren, dass China zunehmend von einer aktiven Klimapolitik abrückt. In der Handelspolitik brauchen wir eine klare EU-Politik zu Dual-Use-Exporten, konsequenteres „Investment Screening“, die Einführung des „International Procurement Instruments“, eine gegen chinesische Subventionspraktiken wirksame Wettbewerbspolitik und Verhandlungen über ein Investitionsabkommen, bei denen Substanz vor Zeitplan geht. Beim Umgang mit chinesischen Menschenrechtsverletzungen steht die Lage der Uiguren im Mittelpunkt. Die Ratspräsidentschaft sollte sich für bessere Arbeitsbedingungen für Journalist*innen und deutsche politische Stiftungen in China einsetzen. Sie muss auch klare Worte finden zu Aggressionen Chinas gegen seine Nachbarn. Die Beseitigung der Autonomie Hongkongs durch das sogenannte nationale Sicherheitsgesetz ist ein Angriff auf Rechtsstaatlichkeit und Freiheiten in Hong Kong und ein Verstoß gegen internationale Verpflichtungen Chinas. Die EU soll Chinas Führung zu verstehen geben, dass sie solche Verstöße nicht konsequenzlos hinnimmt.
Für eine starke Partnerschaft auf Augenhöhe in den EU-Afrika-Beziehungen:
Die EU muss sich für aktiven Multilateralismus einsetzen, der den globalen Süden mitbedenkt und aktiv einbezieht. Afrika kommt aufgrund vielfacher Verflochtenheit mit dem europäischen Kontinent und unserer historischen Verantwortung eine Schlüsselrolle zu. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich im Rahmen ihrer Präsidentschaft für eine Ausweitung der Entwicklungszusammenarbeit und eine stärkere europäische Koordinierung einzusetzen. Entwicklungsgelder dürfen nicht länger zur Flüchtlingsabwehr instrumentalisiert werden. Die bisherige Handelspolitik, die der Integration des afrikanischen Marktes im Wege steht und Ungleichheiten fördert, gehört auf den Prüfstand.
Den Amazonas-Regenwald retten, die Ratifizierung des Mercosur-Abkommens stoppen:
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro nutzt die COVID-Krise, um im Schatten der Pandemie die Regeln zum Schutz des Amazonas weiter abzubauen. Strafzahlungen für illegale Abholzungen wurden ausgesetzt, ein Gesetz zur Legalisierung des Landraubs ist im Kongress anhängig, in der bevorstehenden Brandsaison droht der ökologische Kollaps. Um den Druck auf Brasilien zu erhöhen und den Amazonas-Regenwald zu schützen, fordern wir, die angekündigte Ratifizierung des Mercosur-Abkommens unter deutscher Ratspräsidentschaft zu stoppen.
Auf alle EU-UK-Szenarien vorbereitet sein:
Die Verhandlungen über die zukünftigen EU-UK-Beziehungen müssen bis Jahresende abgeschlossen werden. Von der deutschen Ratspräsidentschaft fordern wir, sich nicht mit einem Verhandlungsergebnis zufrieden zu erklären, das zwar die Finanzmarktbeziehungen regelt, aber die Gefahr von Umwelt- und Sozialdumping in unserer unmittelbaren Nachbarschaft unbeantwortet lässt. Zudem muss die Ratspräsidentschaft dringend einen gemeinsamen Notfallplan der EU-Mitgliedstaaten für den Fall eines „No Deal“ vorbereiten und darauf drängen, dass offene Fragen rund um die Einbürgerung von UK-Staatsangehörigen geklärt werden. Für die Zeit nach dem Brexit schlagen wir einen EU-UK-Rahmenmechanismus für Konsultationen im Bereich der Außenpolitik sowie eine zivilgesellschaftlich und parlamentarisch besetzte Assemblée zur Förderung der bilateralen Zusammenarbeit auf diesen beiden Ebenen vor.